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Studiensammlung Kern Aarau

Kern & Co. AG - 1819 bis 1991 in Aarau
Werke für Präzisionsmechanik, Optik und Elektronik
Studiensammlung ab 2009 im Stadtmuseum Aarau

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Eine geniale Dose als Flüssigkeitskompensator

Von der automatischen Höhenkollimation beim Theodolit zum Zweiachs-Neigungskompensator

Die Entwicklung und der Einsatz des Flüsskeitskompensators ist eine erfolgreiche Geschichte, die bei der Firma Kern vor über 50 Jahren ihren Anfang genommen hat. Sie sei hier anhand von Bildern und Dokumenten erzählt.

Die Bilder sind nur Hinweise. Mit einem Klick auf das Bild gelangen Sie zur Vergrösserung oder zum Dokument.

Vorgeschichte

Internationaler Streckenmesskurs, München, 1955

Flüssigkeiten haben die Ingenieure bei der Entwicklung von Nivellieren und Kompensatoren schon immer inspiriert. Die Libellen, als Dosen- oder Röhrenlibellen sind selbst heute noch die verbreitesten Hilfsmittel für das horizontale Einrichten. Auch an die Kanalwaage oder die Schlauchwaage kann man sich wohl heute noch erinnern.

Erste Versuche mit der Reflexion von Lichtstrahlen an Flüssigkeitsoberflächen beschreibt Dr. Ing. M. Drodofsky in seinem Vortrag, gehalten am internationalen Streckenmesskurs 1955 in München. In einer kurzen Rückblende beschreibt er die Entwicklung eines automatischen Nivelliers durch Heinrich Wild, 1908 bei der Firma Zeiss in Jena.

Sekundentheodolit mit automatischer Höhenkollimation DKM2-A

Mit der Entwicklung des neuen Sekundentheodolits entstanden bereits 1960 die ersten Studien. Unbestritten war der Einsatz einer automatischen Höhenkollimation. Das Einspielen einer empfindlichen Libelle vor jeder Vertikalwinkelmessung sollte automatisiert werden. Pendelkompensatoren, die ab 1950 bei automatischen Nivellieren verwendet wurden, wollte man nicht. Bei Kern suchte man nach etwas Neuem, Innovativem.

Die Kern-Ingenieure erfanden den Flüssigkeitskompensator mit einer hohen Einspielgenauigkeit (0,003 mgon), optimalen Dämpfungseigenschaft und ohne mechanischen Teile, also wartungsfrei - eine geniale Lösung.

Flüssigkeitskompensatoren sind heute übrigens Standard bei allen Herstellern geodätischer Instrumente.

Mit dem CH Patent 384224 meldet Kern 1961 verschiedene mögliche Kompensatorentypen an. Unter der Figur 10 erscheint erstmals ein Flüssigkeitskompensator.

Das CH Patent 392904, nur 2 Tage später eingereicht, behandelt nur noch Lösungen mit Flüssigkeiten

Die Fabrikationszeichnung der Dose mit der Abbildungsoptik. Die Mischung M 135 wurde unter 200 Versuchen ausgewählt und ist geheim.

Im Bulletin Kern Nummer 16, vom Juli 1971, wird ab Seite 3 die Funktion beschrieben.

Der Strahlengang bei der idealen und der praktischen Position der Stehachse.

Die Funktion des Kompensators im Artikel von Dr. Heinz Aeschlimann in VPK 1/1972.

Die Schnittzeichnung

Das Schnittmodell

Das Inserat für den DKM2-A mit Bezug zum Flüssigkeitskompensator

Plakat DKM2-A mit Kreisablesebeispielen

Sekundentheodolit mit Kippachsmikrometer DKM2-AM

Für die automatische Höhenkollimation wurde beim DKM2-A die Kompensation nur in der Richtung des Fernrohrs genutzt. War es Zufall oder weise Voraussicht, dass der Kompensator zylindrisch gefertigt worden ist? Dies ermöglichte Kern 1972, die zum Fernrohr rechtwinklige Richtung zusätzlich zur Messung der Kippachsneigung zu verwenden. Der DKM2-AM verfügt damit über ein Kippachsmikrometer. Die Verwendung einer Reiterlibelle auf der Kippachse erübrigt sich damit.

Die tatsächliche Neigung der Kippachse wird an der Skala des Rändelknopfes vorzeichenrichtig abgelesen und rechnerisch an den Richtungswerten berücksichtigt. Besonders bei steilen Visuren wird damit die Messgenauigkeit entscheidend verbessert.

Patentschrift 12.1970, Eidgenössisches Amt für Geistiges Eigentum: Vorrichtung zur Messung der Neigungsänderung der Kippachse

Artikel VPK 1/1979 von Dr. Heinz Aeschlimann: Messen der Kippachsneigung mit dem Kern DKM2-AM

Prospektblatt: Sekundentheodolit mit Kippachsmikrometer

Bulletin Kern Nummer 24, Seite 8: Handhabung des Kippachsmikrometers des Kern DKM2-AM

Elektronischer Sekundentheodolit E2

Mit der Entwicklung der elektronischen Theodolite, angefangen mit dem Kern E2 ab 1977, stand fest, dass der tausendfach bewährte wartungs- und verschleissfreie Flüssigkeitskompensator des DKM2-A übernommen wird. Die beiden Neigungskomponenten werden von einem digitalen Flächensensor erfasst und ihre Einflüsse an den angezeigten Winkelwerten korrigiert. Die weiteren elektronischen Theodolite E1 und E12 verwenden das gleiche Prinzip.

Mit dem E2 gelang der Firma Kern der Einstieg in die Industrievermessung. Er wurde zum Winkelmess-Sensor der Systeme ECDS1 und ECDS2 (Electronic Coordinate Measuring System), die in den Jahren 1983 bis 1990 in der Fahrzeug- und Flugzeugindustrie erfolgreich eingesetzt wurden.

Deutsches Patent vom 27.8.1976, digitaler Abgriff mit einer "zweikoordinatig empfindlichen Diode"

Optischer Aufbau und Funktion des Flüssigkeitskompensators

Simulation: Funktion des Flüssigkeitskompensators, ECDS1 Video, BBC England

Kompensation der Stehachsneigung in Ziel- und Kippachsrichtung

Die Dose schaffte es sogar auf die Titelseite der VPK 11/1981

Servotheodolit mit Kamera zur digitalen Bildverarbeitung E2-SE

Eine Weiterentwicklung des bewährten E2 führte im Jahre 1985 zu dem als "Messroboter" bezeichneten E2-SE. Bei diesem Servotheodoliten wurden Horizontal- und Vertikalachsen sowie die Fokussierung über Schrittmotoren gesteuert. Die Videokamera im Fernrohr erfasste die Bilder vom Zielpunkt, die digital verarbeitet werden konnten. Mit dabei war auch der Kompensator, der gleich wie schon beim E2 eingesetzt wurde. Der E2-SE war der Messsensor für das 1987 erfolgreich eingeführten SPACE (System for Positioning and Automated Coordinate Evaluation).

Weitere Varianten waren der E2-ST (Tachymeter) und E2-STL (Tachymeter und Laser) für automatisierte Lösungen im Geo-Monitoring und im Tunnelbau.

Kern Bulletin 40: Kern ECDS, Anwendung ECDS, Kern SPACE, Konfiguration mit zwei E2-SE, Entwicklung bei GM, USA

E2-STL, die Variante Servotachymeter mit Laseraufsatz

E2-ST, Servo-Tachymetertheodolit

Prototyp für eine neuartige elektronische Theodolitreihe E10

Der E10 war das letzte bei Kern Aarau entwickelte Vermessungsinstrument. Es hätte zur Nachfolge der bestehenden E1, E2 und E12 werden sollen. Das Projekt wurde 1986 gestartet, fand dann aber mit der Übernahme durch Wild-Leitz, heute Leica, 1988 ein abruptes Ende. Neben viel neuer Technik, neuem Bedienungskonzept und neuen Materialien wäre die bewährte Kompensatordose erneut mit dabei gewesen. Das Konzept sah eine modular aufgebaute Instrumentenfamilie vor mit einem E0, E10, E20 und E30. Daraus wurde dann aber nichts.

E10: das letzte bei Kern entwickelte Vermessungsinstrument, Dr. Reinhard Gottwald, VPK 4/2001

Präzisions-Neigungssensor für zwei Achsen Nivel 20

Dann aber setzte der Flüssigkeitskompensator zu einem neuen Höhenflug an. Die geniale Idee von 1960 und die guten Erfahrungen der folgenden 30 Jahren verlangten nach einer Fortsetzung.

Mit dem Erfolg der Theodolitanwendungen wagten sich die Kern-Ingenieure an die Entwicklung eines elektronischen, hochpräzisen Neigungsmesssystem für zwei Achsen. Es entstand das Kern Nivel 20 (Niveau électronique) als eigenständiger Neigungssensor für Anwendungen in der Industrie und der Bauwerksüberwachung.

Als besondere Ehre hat das Kern Nivel 20 später sogar Aufnahme gefunden im Museum für Gestaltung Zürich, dem Archiv der Zürcher Hochschule der Künste.

Kern Nivel 20, Produktebeschrieb 1989

Produkt-Dokumentation Leica Nivel 20, Funktion, Handhabung und Einsatz, englisch

Die einzelnen Bauteile des Leica Nivel 20

"Volle Kraft voraus" mit dem Kern Nivel 20, "KERN intern", Juni 1989, Seite 14

Die Kompensatordose in den neuesten Anwendungen

Leica entwickelt das Nivel 20 in den folgenden Jahren weiter zu der Produktefamilie Leica Nivel 210/220/230 als Präzisions-Neigungssensoren für die gleichzeitige Messung von Neigung, Neigungsrichtung und Temperatur auf dem gleichen elektrooptischen Konzept und derselben genialen Dose.

Haben Sie weitere Bilder und Dokumente zur Geschichte der Flüssigkeitskompensatoren von Kern, Leica oder anderen Herstellern geodätischer Geräte? Wir möchten die Geschichte gerne ergänzen oder fortsetzen. Bitte benutzen Sie unser Kontaktformular.

Europäisches Patent vom 27.6.2005, Leica Geosystems AG, Neigungssensor

Leica Nivel 210 220, Neigungssensor für die Bauwerksüberwachung, Prospekt englisch

In abgeänderter Form in der neuesten Generation der Leica Absolut Lasertracker AT402 und AT960 eingebaut