Von der automatischen Höhenkollimation beim Theodolit zum Zweiachs-Neigungskompensator
Die Entwicklung und der Einsatz des Flüsskeitskompensators ist eine erfolgreiche Geschichte, die bei der Firma Kern vor über 50 Jahren ihren Anfang genommen hat. Sie sei hier anhand von Bildern und Dokumenten erzählt.
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Flüssigkeiten haben die Ingenieure bei der Entwicklung von Nivellieren und Kompensatoren schon immer inspiriert. Die Libellen, als Dosen- oder Röhrenlibellen sind selbst heute noch die verbreitesten Hilfsmittel für das horizontale Einrichten. Auch an die Kanalwaage oder die Schlauchwaage kann man sich wohl heute noch erinnern.
Erste Versuche mit der Reflexion von Lichtstrahlen an Flüssigkeitsoberflächen beschreibt Dr. Ing. M. Drodofsky in seinem Vortrag, gehalten am internationalen Streckenmesskurs 1955 in München. In einer kurzen Rückblende beschreibt er die Entwicklung eines automatischen Nivelliers durch Heinrich Wild, 1908 bei der Firma Zeiss in Jena.
Mit der Entwicklung des neuen Sekundentheodolits entstanden bereits 1960 die ersten Studien. Unbestritten war der Einsatz einer automatischen Höhenkollimation. Das Einspielen einer empfindlichen Libelle vor jeder Vertikalwinkelmessung sollte automatisiert werden. Pendelkompensatoren, die ab 1950 bei automatischen Nivellieren verwendet wurden, wollte man nicht. Bei Kern suchte man nach etwas Neuem, Innovativem.
Die Kern-Ingenieure erfanden den Flüssigkeitskompensator mit einer hohen Einspielgenauigkeit (0,003 mgon), optimalen Dämpfungseigenschaft und ohne mechanischen Teile, also wartungsfrei - eine geniale Lösung.
Flüssigkeitskompensatoren sind heute übrigens Standard bei allen Herstellern geodätischer Instrumente.
Für die automatische Höhenkollimation wurde beim DKM2-A die Kompensation nur in der Richtung des Fernrohrs genutzt. War es Zufall oder weise Voraussicht, dass der Kompensator zylindrisch gefertigt worden ist? Dies ermöglichte Kern 1972, die zum Fernrohr rechtwinklige Richtung zusätzlich zur Messung der Kippachsneigung zu verwenden. Der DKM2-AM verfügt damit über ein Kippachsmikrometer. Die Verwendung einer Reiterlibelle auf der Kippachse erübrigt sich damit.
Die tatsächliche Neigung der Kippachse wird an der Skala des Rändelknopfes vorzeichenrichtig abgelesen und rechnerisch an den Richtungswerten berücksichtigt. Besonders bei steilen Visuren wird damit die Messgenauigkeit entscheidend verbessert.
Mit der Entwicklung der elektronischen Theodolite, angefangen mit dem Kern E2 ab 1977, stand fest, dass der tausendfach bewährte wartungs- und verschleissfreie Flüssigkeitskompensator des DKM2-A übernommen wird. Die beiden Neigungskomponenten werden von einem digitalen Flächensensor erfasst und ihre Einflüsse an den angezeigten Winkelwerten korrigiert. Die weiteren elektronischen Theodolite E1 und E12 verwenden das gleiche Prinzip.
Mit dem E2 gelang der Firma Kern der Einstieg in die Industrievermessung. Er wurde zum Winkelmess-Sensor der Systeme ECDS1 und ECDS2 (Electronic Coordinate Measuring System), die in den Jahren 1983 bis 1990 in der Fahrzeug- und Flugzeugindustrie erfolgreich eingesetzt wurden.
Eine Weiterentwicklung des bewährten E2 führte im Jahre 1985 zu dem als "Messroboter" bezeichneten E2-SE. Bei diesem Servotheodoliten wurden Horizontal- und Vertikalachsen sowie die Fokussierung über Schrittmotoren gesteuert. Die Videokamera im Fernrohr erfasste die Bilder vom Zielpunkt, die digital verarbeitet werden konnten. Mit dabei war auch der Kompensator, der gleich wie schon beim E2 eingesetzt wurde. Der E2-SE war der Messsensor für das 1987 erfolgreich eingeführten SPACE (System for Positioning and Automated Coordinate Evaluation).
Weitere Varianten waren der E2-ST (Tachymeter) und E2-STL (Tachymeter und Laser) für automatisierte Lösungen im Geo-Monitoring und im Tunnelbau.
Der E10 war das letzte bei Kern Aarau entwickelte Vermessungsinstrument. Es hätte zur Nachfolge der bestehenden E1, E2 und E12 werden sollen. Das Projekt wurde 1986 gestartet, fand dann aber mit der Übernahme durch Wild-Leitz, heute Leica, 1988 ein abruptes Ende. Neben viel neuer Technik, neuem Bedienungskonzept und neuen Materialien wäre die bewährte Kompensatordose erneut mit dabei gewesen. Das Konzept sah eine modular aufgebaute Instrumentenfamilie vor mit einem E0, E10, E20 und E30. Daraus wurde dann aber nichts.
Dann aber setzte der Flüssigkeitskompensator zu einem neuen Höhenflug an. Die geniale Idee von 1960 und die guten Erfahrungen der folgenden 30 Jahren verlangten nach einer Fortsetzung.
Mit dem Erfolg der Theodolitanwendungen wagten sich die Kern-Ingenieure an die Entwicklung eines elektronischen, hochpräzisen Neigungsmesssystem für zwei Achsen. Es entstand das Kern Nivel 20 (Niveau électronique) als eigenständiger Neigungssensor für Anwendungen in der Industrie und der Bauwerksüberwachung.
Als besondere Ehre hat das Kern Nivel 20 später sogar Aufnahme gefunden im Museum für Gestaltung Zürich, dem Archiv der Zürcher Hochschule der Künste.
Leica entwickelt das Nivel 20 in den folgenden Jahren weiter zu der Produktefamilie Leica Nivel 210/220/230 als Präzisions-Neigungssensoren für die gleichzeitige Messung von Neigung, Neigungsrichtung und Temperatur auf dem gleichen elektrooptischen Konzept und derselben genialen Dose.
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